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Einer, der zur Hand war
12.08.2011 | 18:21 | Von Julia Kospach (Die Presse)
Peter Handkes Einsatz für den Serben Dragoljub Milanović.
Es
ist hier eine Geschichte zu erzählen“, lautet Peter Handkes erster
Satz. Sofort weiß man: Es geht nicht um das Vergnügen des
Geschichtenerzählens, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen, die
erzählt werden soll, nein: erzählt werden muss und den Lesern nicht
erspart werden kann. Die Angelegenheit ist dringlich. Ein „J'accuse“
schwingt schon in diesem ersten Satz unüberhörbar mit.
„Die
Geschichte des Dragoljub Milanović“, ein kaum 40 Seiten langer Text,
ist eine Fortsetzung von Handkes schon seit Mitte der 1990er-Jahre
andauerndem, von vielen bitter kritisierten, so oft schwer
nachvollziehbaren Einsatz um Gerechtigkeit für Serbien. Diesmal tritt
Handke für einen einzelnen Serben ein, berichtet von einem Mann, der in
Serbien die Rolle des Sündenbocks übernehmen musste, weil kein
internationaler Gerichtshof, keine Politik, keine Staatengemeinschaft
sich für zuständig erklärte. Die eigentlich Verantwortlichen für 16
zivile Todesopfer waren nicht greifbar, sind es bis heute nicht. Doch
Recht musste gesprochen werden, der Trauer um die Gestorbenen wegen,
„also musste doch einer schuldig sein, und zwar einer, der, wie man
sagt, zur Hand war“, Peter Handkes Einsatz für den Serben Dragoljub Milanovićschreibt Handke.
Zur
Hand war Dragoljub Milanović, der ehemalige Direktor des serbischen
Radios und Fernsehens. Er sitzt, verurteilt von einem serbischen
Gericht, seit neun Jahren im Gefängnis. Häftling seines eigenen Landes
wegen des gezielten Bombenangriffs der Nato in der Nacht des 23. April
1999 auf den Sitz der serbischen TV-Anstalt im Zentrum Belgrads, bei dem
16 Menschen ums Leben kamen, alle von ihnen Mitarbeiter des Dragoljub
Milanović. Um zwei Uhr vier fielen die Bomben, eine halbe Stunde zuvor
hatte Milanović den Sender verlassen, um nach Hause zu gehen.
Ein fahrlässiges Versäumnis?
Er
hätte, hieß es vor Gericht, vier Wochen nach Beginn der
Nato-Bombardements ein solches Geschehen einkalkulieren und seine
Mitarbeiter rechtzeitig evakuieren müssen. Für den Schuldspruch genügte
dem Gericht die Anweisung einer übergeordneten Dienststelle, den Sender
mitsamt allen Angestellten aus der Hauptstadt auszulagern. Eine
Anweisung, soformuliert, dass es Milanović freistand, ihr nachzukommen
oder nicht. Für das Gericht ein fahrlässiges Versäumnis.
Handke
stand vor den Trümmern des Sendergebäudes, er hat zehn Jahre später
Milanović zweimal im Gefängnis besucht und einen stillen, kindlichen
Mann gefunden, er hat die Gerichtsprotokolle gelesen. Es ist das
augenfällige und inzwischen vor allem auch außerhalb Serbiens gut
dokumentierte Unrecht gegenüber einem Einzelnen, das Handke in Worte
fasst. Gegen Achtlosigkeit und Willkür setzt er Fakten und seine eigenen
Eindrücke. Wie zufällig wirkt es, dass sein – teilweise im „Spectrum“
publizierter – Text zwischen Buchdeckeln gelandet ist. Dragoljub
Milanović – „immer wieder sei dieser Name erwähnt, damit er sich
einpräge über die Aktualitäten hinaus“ – soll erinnert werden, seine
Geschichte wieder und wieder und wieder erzählt, „selbst wenn ich sie
einem Baumstrunk erzählen müsste, oder einem Einbaum, oder einem
verrosteten Schienenstrang“. ■
("Die Presse", Print-A
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