Erfinden und Erleben
3. Mai 2012. Seit den 1960er Jahren sind Luc Bondy und Peter Handke miteinander befreundet. Aber noch nie hat der Theaterreluc-bondy-und-peter-handke-plaudern-in-der-zeit-aus-ihrem-leben&catid=242:presseschau&Itemid=115gisseur einen Handke-Text uraufgeführt. Dies wird sich am 15. Mai mit "Die schönen Tage von Aranjuez" bei den Wiener Festwochen ändern. Aus diesem Anlass traf Peter Kümmel von der Zeit (3.5.2012) die beiden Künstler in der Pariser Wohnung von Luc Bondy zum Gespräch, besser: zur Plauderei.
Sie sinnieren über die Vorzüge der Schwermütigkeit, den Anteil Kind im Manne (bezogen auf sich selbst) und über den von Handke etwas erratisch stehen gelassenen Satz eines Vorksokratikers: "Der nicht leidende Mensch bleibt nicht Kind". Es geht um die Hoddie-Mode, also die Kapuzenshirts tendenziell junger Vorstadtmänner (Handke: "Manchmal haben die Kapuzenmänner ganz zarte Gesichter; man muss nur die Profillinien sehen und ist total besänftigt...") und um die abgewandten Gesten insbesondere moderner Frauen, die Handke auch in seinen Stücken thematisiere. Handke: "(M)ir kommt es schon so vor, dass sich das verschärft hat, die Härte, die Leere der Blicke, die Verkapptheit der Menschen".
Zum israel-kritischen Gedicht von Günter Grass, der – wie Kümmel bemerkt – damit Handke als "Schriftsteller, der sich ins Abseits begeben hat, abgelöst habe, gibt's zunächst Humoriges. Während Bondy mit Vehemenz das Grass'sche Gedicht als "pauschal und ideologisch" abwatscht, bekennt Handke, "Ich kenne es gar nicht", ehe er in alten Zeiten schwelgt: "Was war Grass noch für ein Dichter, als er in Princeton dieses Vorfrühlingsgedicht vorlas, das war damals auf der Tagung der Gruppe 47, dieses Gedicht endet ungefähr so: Puppe, zieh dich aus." Und weiter: "Das war im April, und es war zu Zeiten, als Grass noch ein starker Körper war. Vom Geist her war bei ihm ja nie viel los, aber auch Körper kann Geist sein. Entschuldigung."
Plötzlich wird es aber doch kontrovers, und während Bondy den Rechtsstaat Israel und seine öffentliche Diskussionskultur gegen die Positionen des Irans verteidigt, beweist Handke ein eher beschränktes Demokratieverständnis: "Lieber Luc, diskutieren allein ist nicht alles. Israel ist eine Demokratie, aber wenn dann entschieden wird, haben die Diskutanten überhaupt nichts zu sagen." Bondy kontert: "Es gibt in Israel kein Einverständnis zwischen dem Militär, das sehr gegen jede Form von Angriff auf Iran ist, und den Regierungspolitikern, die diese Möglichkeit erwägen – das ist ein Konflikt, der in Israel offen ausgetragen wird." Und Handke: "Darüber weißt du viel mehr als ich." Dann schleicht er sich aus dem Disput raus: "Wenn ich im Leben je ins Politisieren gekommen bin, wusste ich genau, ich hab jetzt eine Schwelle überschritten zur Idiotie."
Mit der Frage nach Humor in Handke-Stücken gibt's wieder festeren Boden unter den Füßen. Der Dichter: "Ich denke von mir oft, ich bin nicht komisch, und dann bin ich komisch." Ab jetzt werden eher Themen aus dem Nahbereich der Erfahrung gestreift. Der in Frankreich lebende Handke bekennt, er habe kein Heimweh, außer "manchmal noch nach dem Schreibtisch". Bondy und Handke erinnern sich ihrer Jugend im Internat (Bondy: "Man kann schon sagen, dass Internatsvergangenheit eine Form von Komplizenschaft stiftet"). Der Regisseur Bondy beschreibt sich als Mensch mit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ("Ich kann sehr gut proben, aber im wirklichen Leben lasse ich mich sehr leicht ablenken").
Zwei Passagen gibt es noch für Freunde der Theoriekost. Handke wendet sich gegen die "Dichotomie zwischen Dichter und Regisseur": "(A)ein Regisseur ist ein Dichter. Na ja, Peter Stein, der war nie Dichter, das kann man nicht sagen." Und Handke blockt eine Frage zum biographischen Hintergrund in einem seiner Texte: "Das geht Sie überhaupt nichts an. (...)Manches Erfundene ist mir wahrer als das Erlebte. Manchmal weiß ich selber nicht, was erzählt und was erlebt war".
(chr)
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