http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/36333
also see this discussion and comments of a review of the book at DER FREITAG
http://www.freitag.de/kultur/1140-das-schweigen-der-pilze
Häuser von Schriftstellern sind mythische Orte: Thomas Bernhards Vierkanthof in Ohlsdorf, vor dem er gern posierte wie ein Großbauer, oder Norman Mailers New Yorker Loft, das der leidenschaftliche Segler zu einer Art Kapitänskajüte umgebaut hatte. Aber wie wohnt eigentlich Peter Handke, der enigmatische Schmerzensmann der deutschsprachigen Literatur? Und wohnt er überhaupt, der Unnahbare, den die Aura eines Gurus und Einsiedlers umgibt, oder ist das ein viel zu prosaisches Wort für einen wie ihn, der alles um sich herum mit Bedeutung und Emphase auflädt? So schwärmte Handke einmal von der »feinen Pracht der Leere«, die sein Wohnhaus auszeichne, worin er glücklich »in Nutzlosigkeit prange«.
Das unverputzte Sandsteinhaus, das Handke 1990 in Chaville, einem Vorort im Südwesten von Paris bezogen hat, gilt als uneinnehmbare Festung, die der Dichter gegen jede Zudringlichkeit verteidigt. Nur für wenige Auserwählte lässt er die Zugbrücke herunter. Und irgendwie passte der Rückzug an die Peripherie zu einer Weltflucht, die Handke auch in seinen Büchern betrieb. Immer weiter weg von der unheilen Realität fantasierte er sich in Traum- und Fabelwelten hinein. So kostbar war ihm sein »kleines, schlangenloses Paradies« in Chaville, dass er einmal ein Fernsehteam, das angereist war, um ein Feature über ihn zu drehen, nicht ins Haus ließ. Das Gespräch sollte stattdessen im Freien stattfinden. Als der Kameramann, offenbar ohne vorher um Erlaubnis gebeten zu haben, nach drinnen eilte, weil er mal musste, konnte Handke sich noch lange danach über diese Gebietsüberschreitung aufregen. Der Autor und Handke-Freund Peter Hamm erzählt diese Anekdote in seinem Vorwort zu Lillian Birnbaums Fotoband über Handkes Haus.
Die in Paris lebende Fotografin ist eine der wenigen, denen der österreichische Schriftsteller Zutritt gewährt. Über Jahre hat sie den kamerascheuen Autor meist sonntags besucht, um ihn aus verschiedenen Anlässen zu porträtieren, und irgendwann angefangen, auch im Haus und im Garten zu fotografieren. Die Aufnahmen, die dabei zwischen 1994 und 2008 entstanden sind, zeigen einen Künstler, der Wert darauf legt, auf geheimnisvolle Weise in den Dingen anwesend zu sein, mit denen er sich umgibt. Und das sind nicht wenige. Der Literatur-Messias, so der Eindruck, ist eben auch ein ziemlicher Messie, der sich von nichts trennen kann. So verrotten das Dreirad und der Plastikball von Handkes Kind, das längst erwachsen ist, genauso im Garten wie das ausrangierte Faxgerät beim Kompost. Es wirkt, als sollten vergangene Lebensabschnitte eingehen in den Kreislauf der Natur.
Auch im Inneren ist das Haus weniger eingerichtet als »ausgerichtet auf das Draußen, zum Freien hin, zum Offenen«, wie Peter Hamm das kunstvoll arrangierte Chaos freundlich umschreibt. Überall verteilt finden sich Dinge, die Handke von seinen Wanderungen mitbringt: Steine, Blumen und Vogelfedern, der verkohlte Holzkloben, auf dem Handke saß, als er seinen Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht schrieb. Zahllose Wanderstöcke stecken in einem geborstenen Korb an der Haustür, Schnürsenkel und Bindfäden wimmeln neben einer Strohblume in einer Schale, Bleistiftstummel mengen sich unter Beeren, Münzen und Kristalle. Und auf den Tischen: Teller und Schüsseln mit selbst gepflückten Pilzen, Nüssen und Früchten aus Wald und Garten, mit denen der Hausherr seine wenigen Gäste bewirtet.
Diese Mahlzeiten zelebrieren in ihrer rustikalen Raffinesse genauso das einfache Leben und den Anti-Modernismus wie die unzähligen Bleistifte und Notizhefte, Handkes bevorzugte Schreibutensilien. Die Geste scheint in diesen heiligen Hallen mindestens so wichtig zu sein wie die Sache selbst. Das Ganze hat bei aller Beiläufigkeit etwas Inszeniertes und Ausgestelltes. Handke scheint in seinem Mikrokosmos Stillleben zu arrangieren, die sein Haus in eine Art Naturalienkabinett verwandeln, ein Museum der Vergänglichkeit. Jedes Gebinde ein kleiner Hausaltar. Selbst die Gebrauchsgegenstände sehen aus, als hätten sie lange draußen gelegen, Wind und Wetter preisgegeben, damit sie Patina bekommen. Die Bücher und Magazine, scheinbar achtlos auf Stühlen, Treppenstufen und in Mauernischen gestapelt, zeigen Spuren der Verwitterung, da sie meist im Freien gelesen wurden. Aber ob Handke wirklich die arabische Zeitung liest, die auf seinem Küchentisch liegt? Die Ornamentik der Schriftzeichen ist jedenfalls äußerst dekorativ.
Mit seinem strengen Wildwuchs ist Peter Handkes Haus weniger Lebensraum als ein Statement: Protestwohnen gegen den Funktionalismus. Und schon auch ein gutes Stück Selbststilisierung.
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http://www.freitag.de/kultur/1140-das-schweigen-der-pilze
Häuser von Schriftstellern sind mythische Orte: Thomas Bernhards Vierkanthof in Ohlsdorf, vor dem er gern posierte wie ein Großbauer, oder Norman Mailers New Yorker Loft, das der leidenschaftliche Segler zu einer Art Kapitänskajüte umgebaut hatte. Aber wie wohnt eigentlich Peter Handke, der enigmatische Schmerzensmann der deutschsprachigen Literatur? Und wohnt er überhaupt, der Unnahbare, den die Aura eines Gurus und Einsiedlers umgibt, oder ist das ein viel zu prosaisches Wort für einen wie ihn, der alles um sich herum mit Bedeutung und Emphase auflädt? So schwärmte Handke einmal von der »feinen Pracht der Leere«, die sein Wohnhaus auszeichne, worin er glücklich »in Nutzlosigkeit prange«.
Das unverputzte Sandsteinhaus, das Handke 1990 in Chaville, einem Vorort im Südwesten von Paris bezogen hat, gilt als uneinnehmbare Festung, die der Dichter gegen jede Zudringlichkeit verteidigt. Nur für wenige Auserwählte lässt er die Zugbrücke herunter. Und irgendwie passte der Rückzug an die Peripherie zu einer Weltflucht, die Handke auch in seinen Büchern betrieb. Immer weiter weg von der unheilen Realität fantasierte er sich in Traum- und Fabelwelten hinein. So kostbar war ihm sein »kleines, schlangenloses Paradies« in Chaville, dass er einmal ein Fernsehteam, das angereist war, um ein Feature über ihn zu drehen, nicht ins Haus ließ. Das Gespräch sollte stattdessen im Freien stattfinden. Als der Kameramann, offenbar ohne vorher um Erlaubnis gebeten zu haben, nach drinnen eilte, weil er mal musste, konnte Handke sich noch lange danach über diese Gebietsüberschreitung aufregen. Der Autor und Handke-Freund Peter Hamm erzählt diese Anekdote in seinem Vorwort zu Lillian Birnbaums Fotoband über Handkes Haus.
Die in Paris lebende Fotografin ist eine der wenigen, denen der österreichische Schriftsteller Zutritt gewährt. Über Jahre hat sie den kamerascheuen Autor meist sonntags besucht, um ihn aus verschiedenen Anlässen zu porträtieren, und irgendwann angefangen, auch im Haus und im Garten zu fotografieren. Die Aufnahmen, die dabei zwischen 1994 und 2008 entstanden sind, zeigen einen Künstler, der Wert darauf legt, auf geheimnisvolle Weise in den Dingen anwesend zu sein, mit denen er sich umgibt. Und das sind nicht wenige. Der Literatur-Messias, so der Eindruck, ist eben auch ein ziemlicher Messie, der sich von nichts trennen kann. So verrotten das Dreirad und der Plastikball von Handkes Kind, das längst erwachsen ist, genauso im Garten wie das ausrangierte Faxgerät beim Kompost. Es wirkt, als sollten vergangene Lebensabschnitte eingehen in den Kreislauf der Natur.
Auch im Inneren ist das Haus weniger eingerichtet als »ausgerichtet auf das Draußen, zum Freien hin, zum Offenen«, wie Peter Hamm das kunstvoll arrangierte Chaos freundlich umschreibt. Überall verteilt finden sich Dinge, die Handke von seinen Wanderungen mitbringt: Steine, Blumen und Vogelfedern, der verkohlte Holzkloben, auf dem Handke saß, als er seinen Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht schrieb. Zahllose Wanderstöcke stecken in einem geborstenen Korb an der Haustür, Schnürsenkel und Bindfäden wimmeln neben einer Strohblume in einer Schale, Bleistiftstummel mengen sich unter Beeren, Münzen und Kristalle. Und auf den Tischen: Teller und Schüsseln mit selbst gepflückten Pilzen, Nüssen und Früchten aus Wald und Garten, mit denen der Hausherr seine wenigen Gäste bewirtet.
Diese Mahlzeiten zelebrieren in ihrer rustikalen Raffinesse genauso das einfache Leben und den Anti-Modernismus wie die unzähligen Bleistifte und Notizhefte, Handkes bevorzugte Schreibutensilien. Die Geste scheint in diesen heiligen Hallen mindestens so wichtig zu sein wie die Sache selbst. Das Ganze hat bei aller Beiläufigkeit etwas Inszeniertes und Ausgestelltes. Handke scheint in seinem Mikrokosmos Stillleben zu arrangieren, die sein Haus in eine Art Naturalienkabinett verwandeln, ein Museum der Vergänglichkeit. Jedes Gebinde ein kleiner Hausaltar. Selbst die Gebrauchsgegenstände sehen aus, als hätten sie lange draußen gelegen, Wind und Wetter preisgegeben, damit sie Patina bekommen. Die Bücher und Magazine, scheinbar achtlos auf Stühlen, Treppenstufen und in Mauernischen gestapelt, zeigen Spuren der Verwitterung, da sie meist im Freien gelesen wurden. Aber ob Handke wirklich die arabische Zeitung liest, die auf seinem Küchentisch liegt? Die Ornamentik der Schriftzeichen ist jedenfalls äußerst dekorativ.
Mit seinem strengen Wildwuchs ist Peter Handkes Haus weniger Lebensraum als ein Statement: Protestwohnen gegen den Funktionalismus. Und schon auch ein gutes Stück Selbststilisierung.
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