Sprachbilder wie Wasserläufe im Karst
Peter Handke und Lojze Wieser im Gespräch mit Frederick Baker
Von Andreas Hudelist
Besprochene Bücher / Literaturhinweise
„Die Sprachen-Auseinander-Driftung“ ist der
sechste Teil der Reihe „gehört gelesen“ aus dem Wieser
Verlag. Dabei handelt es sich um ein Gespräch, ein
Doppelinterview zwischen Peter Handke, Lojze Wieser und dem
Filmemacher Frederick Baker. Im Vorwort schreibt Wieser,
dass sie mit Peter Handke dem großen Moment auf der Spur
sind, „wo die vielen verschiedenen Sprachen entstanden sind
und auf diese Weise die Bilderwelt immer fruchtbarer
geworden ist“.
Ausgangspunkt dieser Spurensuche ist Handkes Text
„die Wiederholung“ aus dem Jahr 1986. Darin macht sich der
um die 20 Jahre alte Filip Kobal nach Beendigung der Schule
nach Slowenien auf, um seinen im Krieg verschollenen Bruder
zu suchen. Im Gepäck hat er ein slowenisch-deutsches
Wörterbuch, in dem der Suchende Einwortgeschichten findet,
die ihn von seinem ursprünglichen Ziel abbringen und seine
Wahrnehmung mehr und mehr auf die Umwelt lenken. So gelangt
er bis zum Karstgebiet in der Nähe von Triest und Koper. Der
Weg dorthin fasziniert ihn nicht nur auf Grund der Natur,
sondern auch wegen der slowenischen Sprache, die sich ihm
Wort für Wort öffnet.
Dieses Gebiet ist auch der Treffpunkt für Handke,
Wieser und Baker, die sich bei einer Ruine im Karst
niederlassen, um über Sprache zu reflektieren. In ihrem
Gepäck befindet sich nicht nur eine Filmkamera inklusive
Ausrüstung, sondern auch die Bücher „Die Wiederholung“ und
die Wörterbücher Anton Alojzij Wolfs, die bis heute die
umfangreichste Wörterbuchsammlung in den Sprachen Deutsch
und Slowenisch sind. Wolf, der Bischof von Ljubljana war,
finanzierte das Projekt, das seine Verfasser über 30 Jahre
beschäftigte, da sie Ausdrücke aus allen Regionen Sloweniens
zusammen trugen.
Im Wieser Verlag gibt es davon eine Sonderausgabe
in fünf Bänden. Die ersten vier Bände sind die Wörterbücher,
wobei Band drei und vier eine Neuausgabe des
deutsch-slowenischen Wörterbuchs ist, das Filip Kobal auf
seiner Reise zum slowenischen Karst mitgenommen hatte. Den
fünften Band dieser Ausgabe nimmt, passend zum Wörterbuch,
eine zweisprachige Ausgabe von Handkes „Die
Wiederholung/Ponovitev“ ein.
Im Gespräch erzählt Handke, wie er über das
Nachschlagen im Wörterbuch Einwortgeschichten fand und sich
davon inspirieren ließ. Die Bilder der Sprache, also die
Metaphern, Redewendungen und Phraseologismen des
Slowenischen sind eine ungeheure Bereicherung für die
deutsche Sprache. Diese Übertragungen können natürlich auch
aus anderen Sprachen kommen, jedoch möge er, die aus dem
Slowenischen besonders gerne. Solche Wörterbücher, sind nach
Handke eine wunderbare Sache, da sie die eigene Sprache in
ihrer Verwendung „reinigen“. Wörterbücher schlägt man auf
und gleichzeitig gehen die Augen auf. Der Turmbau von Babel
ist eine segensreiche Geschichte gewesen, da die
babylonische Sprachverwirrung die Menschheit beglückt hat.
„Die Sprachenauseinanderdriftung“ ist ein
kurzweiliges Büchlein, das für ein mannigfaltiges
Verständnis für die Sprache(n) plädiert. Die Bereicherung
kann man nur im Fremden, im nicht Eigenen finden. Deshalb
wurde das Gespräch auch im Karst, dessen Wasserläufe meist
unterirdisch verlaufen und nur manchmal an die Oberfläche
dringen, im Grenzland Sloweniens zu Italien und Österreich
gefilmt. Das Potential der Sprache scheint, wie die
Wasserläufe im Karst, durch den alltäglichen Sprachgebrauch
verborgen zu sein. „Die Sprache ist ein offenbares
Geheimnis“, zitiert Handke Goethe.
Die beiliegende DVD, aus dem doppelten Umschlag
herausragend, vermittelt die Stimmung des Gesprächs durch
Ton, Bild und Stimmen. So sieht man zu Beginn zwei
Fahrzeuge, die sich auf den Weg zur bereits erwähnten Ruine
machen. Die Aufnahme erinnert kurz an Wim Wenders „Lisbon
Story“, nur ohne Musik. Danach folgt das Doppelinterview
ohne Schnitt. Dies wird besonders dann deutlich, wenn am
Ende scheinbar noch wahllose Szenen aneinandergereiht
werden. Dabei filmte das Team Schnittbilder, die nicht
gebraucht wurden, da während dem Interview keine
Schnittbilder verwendet werden. Im Text wird dieser
Abschnitt vom sonstigen Gespräch als „Nachspann“ getrennt.
Dazu wird noch eine Seite aus dem Wörterbuch und Erklärungen
zu wissenschaftlichen Sprachbegriffen abgedruckt. Das Ende
der DVD scheint eher als ungebrauchtes Rohmaterial gedacht
zu sein. Vielleicht ist damit auch eine audiovisuelle Art
der Sprachenauseinanderdriftung angedacht; eine
Bildauseinanderdriftung.
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